k r i t i k e n   . .   k o n z e r t

 

 

CD
Johannes Martin Kränzle
Franz Schubert: Winterreise
Pianist : Hilko Dumno

 

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Münchner Merkur:
Eine großartige „Winterreise“ mit Johannes Martin Kränzle
Es ist nicht Trauer oder Frustration, auch nicht Weltekel oder Selbstmitleid. Da ist nur eine unsagbare Müdigkeit, die den Wanderer auf diesen Friedhof getrieben hat, vor eine mutmaßlich heruntergekommene, aber voll besetzte Herberge – ein Symbol. „Das Wirtshaus“ ist eines der gefährlichsten Lieder dieses Zyklus. Es verführt zu Pathos, Jammer-Zeitlupe oder Ähnlichem. Bei Johannes Martin Kränzle hören wir: Leere, Ausweglosigkeit, auch ein Schulterzucken. Dieses lyrische Ich kann nicht mehr, will aber nicht bedauert werden. Noch vieles mehr hören wir aus diesen paar Minuten heraus, auch aus den anderen Liedern. Und oft lässt sich nicht genau festmachen, definieren, was. Im Grunde das Beste, was sich über eine Interpretation sagen lässt. Sie wird unfassbar.

Jahrzehntelang hat sich Kränzle mit der „Winterreise“ von Franz Schubert auseinandergesetzt, sie häufig im Konzert vorgetragen. Im vergangenen Herbst ist er mit Pianist Hilko Dumno ins Studio gegangen und hat seine Erfahrungen auf CD geb(r)annt. Auf der Opernbühne ist Kränzle ein Gesamtkunstwerk, einer der intelligentesten Sängerdarsteller unserer Zeit. Mutmaßlich hätte er in Dieter Dorns Ensemble der Münchner Kammerspiele bestehen können, den schauspielerischen Instinkt hat er dafür. Tatsächlich gibt es in dieser „Winterreise“ Stellen, die Puristen zucken lassen. Kurze Lacher, ein klitzekleiner Schluchzer, auch raue, unebene Klänge, ausgerechnet im Schlager des „Lindenbaums“. Theatralisch könnte man das nennen. Ein Problem wäre das aber nur, wenn Kränzle nach Effekten schielte.

In den ersten Nummern der „Winterreise“ scheint Kränzle die Emotionalität fast zu überdehnen. Weit spreizt sich schon das Eröffnungslied zwischen Wut und einem wie verzweifelten Pianissimo. Kränzle gewinnt damit Fallhöhe – und wird doch nie plakativ. Worte, Satzteile werden zwar hervorgehoben, das Belehren gesteht dieser Bariton aber anderen zu. Die „gefrornen Tropfen“ aus dem gleichnamigen Lied lässt er mit seinem Klavierbegleiter fast filmisch abperlen, Singen wird zur stufenlos erweiterten Sprechstimme. Doch der (scheinbare) Naturalismus ist nur Mittel zum Zweck. Was sich hier an Farben und Nuancen eröffnet, könnte fast eine gedämpfte Version des „Erlkönigs“ sein.

Bewundernswert, wie Kränzle ohne Deklamieren alles aus dem Sprechrhythmus deutet. Man höre nur „Rückblick“: Das klingt nach freier, wie spontaner Erzählung und ist zugleich aus dem Abstand und der Draufsicht interpretiert. Identifikation und Reflexion werden eins. Kränzle und Dumno lassen sich von Schuberts Details bei alledem nicht verführen. Die Tempi sind zügig, zuweilen spürt man gar ungewohnte tänzerische Momente. Dumno spielt so plastisch, mit einer solchen feinen, klugen Clarté, dass man denkt: Diese Lieder könnten auch 100 Jahre jünger sein.

Der Wanderer dieser „Winterreise“ hat, so lakonisch er sich äußert, seinen Lebensweg längst begriffen. Das Aufbäumen ist nur vorübergehend. So emotional alles erfühlt ist, so groß ist doch die Gelassenheit. Aber ob der Wanderer am Ziel ist, wenn er dem Leiermann begegnet? Auch weil Kränzle davon im CD-Booklet schreibt, sollte man erwähnen, wann diese Aufnahme entstand: nachdem er zum zweiten Mal die Diagnose Akute Leukämie bekam. Nach einer ersten Stammzellentherapie vor einigen Jahren hatte sich Kränzle zurück ins Leben und in die Karriere gekämpft. Vor der zweiten Therapie nun die Aufnahme dieses Endzeit-Zyklus. Das muss man aushalten können und wollen. Wer mag, kann bei dieser „Winterreise“ daran denken. Und fühlt doch auch, so lakonisch Kränzle den „Leiermann“ enden lässt: Es geht weiter.

 

Pizzicato:
Johannes Martin Kränzle beschäftigt sich schon lange mit der Winterreise. Zu der Aufnahme sagt er: « Die Schubertsche Reihenfolge des Zyklus haben wir belassen, aber wir haben unsere eigene tonale Abfolge entworfen. Schon in den maßgeblichen Ausgaben stimmt das Tonartenverhältnis nicht mit dem Original überein, sondern ist von den Herausgebern frei gewählt worden. Wir haben bewusst Brüche in der Tonalität zugelassen, wenn es der Dramaturgie gerecht wird, also ein Stück etwa sehr hoch gesungen, um Erregung freizusetzen, oder ein anderes tief, um es verschattet ins Dunkel zu tauchen. » Dieses Vorgehen führt zu packenden Kontrasten in dieser Interpretation.

Kränzle lässt die einzelnen Lieder zu lebendigen, bewegten Bildern erstehen und sorgt gleichzeitig für einen inneren Zusammenhang und einen großartigen dramaturgischen Ablauf. Zu den Positiva zählt auch die untadelige Stimmführung des Sängers, der seine Stimme in den tieferen Lagen so gut und ausgeglichen kontrolliert wie in den höheren Bereichen. Die Textverständlichkeit ist optimal. Dumnos klare, konturierte, spannungsgeladene Begleitung ist ihrerseits auch sehr suggestiv. Wenn ich nun diese Aufnahme mit andren vergleiche, Stele ich erst, dass Kränzle nicht die Position des Erlebenden einnimmt, sondern die eines Erzählers, mit wie eingeflochtenen Kommentaren des Reisenden. Das ist eine interessante Annäherung an den Zyklus.

Die Rheinpfalz:
Johannes Martin Kränzle ist einer der großen Operndarsteller unserer Zeit. Dass er auch ein Liedspezialist ist, beweist er mit dieser Aufnahme von Schuberts „Winterreise“. Kränzle beginnt seine „Winterreise“ mit dem ersten Lied „Gute Nacht“ jedenfalls nicht in einem weinerlichen Ton. Auch von Selbstmitleid keine Spur. Da ist eher ein trotzig-selbstbewussterTon zu vernehmen, so nach demMotto: „Dann suche ichmir eben eine andere“. Aber da ist keine andere, sondern nur Eis und Schnee. Auch in „Erstarrung“ wirkt der verletzte Liebende vielmehr zornig, vielleicht auch enttäuscht. Aber eben doch auch voller Kraft und Mut. Dem Mut des Verzweifelten? Selbst in einem so abgrundtief trauriges Lied wie „Gefrorene Tränen“ bewahrt Kränzle die Distanz zum Text. Eine ironische, spöttische Distanz zum Liebesleid, von dem das Gedicht handelt. Man muss dann irgendwann an das Schicksal des Sängers denken. Wer innerhalb von zehn Jahren gleich zwei Mal lebensbedrohlich erkrankt war, der weiß, es gibt tatsächlich Wichtigeres als das unglückliche Verliebtsein eines jungen Menschen. So wird auch das letzte Lied „Der Leiermann“ nicht zu einem völligen Sich- Ergeben in das Schicksal, sondern zu einer Art Schlussstrich. Die Reise durch den Winter ist zu Ende – was auch immer das bedeuten mag.

Backstage Classical:
Die Aufnahme der Winterreise entstand unter dem Eindruck seiner erneuten Erkrankung. Der Pianist Hilko Dumno und Kränzle hatten den Zyklus über Jahre hinweg neu durchdrungen und neue Ideen entwickelt. Als die Leukämie diagnostiziert wurde, war klar: »Jetzt muss ich das noch realisieren, bevor es zu spät ist – notfalls auch als Vermächtnis«.

Axel Brügemann zeigt sich ergriffen von dieser so »gar nicht gefälligen« Aufnahme, die archaisch und bewusst an der Grenze gesungen sei. Kränzle erklärt, er habe eine »direkte Ansprache« und »Unmittelbarkeit« ohne falschen Romantizismus angestrebt.

Kleine Zeitung Graz:
Unsentimentale Reise Bariton Johannes Martin Kränzle, der sich im Alter von 62 Jahren dem Zyklus genähert hat, wählt einen Weg, der verstörend wirken kann. Seine „Winterreise“wirkt erst nicht wie eine Leidensgeschichte, sondern wie ein sachlicher, zügig vorgetragener Bericht. Auch wenn er sich einige Akzente (wie einen sarkastischen Lacher in „Gute Nacht“) erlaubt, ist seine Darstellung geradezu unpoetisch. Fast nüchtern klingt das Ende, wie ein: „Ja, so war das. Punkt.“Man muss sich darauf einlassen, um die Großartigkeit der subtilen Gestaltung und unsentimentalen Grundeinstellung zu erfassen. Der mit hellem Bariton und extremer Wortdeutlichkeit aufwartende Kränzle, übrigens ein begnadeter Singdarsteller der Opernbühne, verliert höchstens beim Anblick der „Wetterfahne“oder der „Nebensonnen“die Fassung und bleibt sonst ein Berichterstatter, der nicht übertreiben muss, um zu berühren.

 

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