k r i t i k e n   . .   k o n z e r t

 

 

CD
Johannes Martin Kränzle
Franz Schubert: Winterreise
Pianist : Hilko Dumno

 

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BR Klassik:

EINE STERNSTUNDE KÜNSTLERISCHER EHRLICHKEIT

ALBUM DER WOCHE

Es ist ein Zugang voll Dringlichkeit und Direktheit, ohne manierierte Kunstlied-Verbrämung, ohne romantischen Weichzeichner und sentimentale Larmoyanz. Eine packende Reise durch Gefühlsextreme, hochdramatisch und doch nie theatralisch. Johannes Martin Kränzle erleidet und beobachtet zugleich seinen Liebesschmerz, Pianist Hilko Dumno evoziert hellsichtig seine Psyche, in der knurrende Hunde, eisstarre Wasserfluten und tanzende Irrlichter ihren Widerhall finden. Die Skala reicht von Sehnsucht über Verzweiflung und Entfremdung bis zur tödlichen Ausweglosigkeit. Als einen "Zyklus schauerlicher Lieder" kündigte Schubert seinen Freunden die "Winterreise" an und die reagierten entsprechend befremdet auf ihre depressive Düsternis. Nur den scheinbar volkstümlichen "Lindenbaum" ließen sie gelten – dabei rauscht auch in seinen Zweigen der Tod, der für den an Syphilis leidenden Schubert in seinem letzten Lebensjahr allgegenwärtig war. Die dramaturgischen Kontraste dieser Seelenwanderung verstärkten Kränzle und Dumno durch Veränderungen der Tonartenverhältnisse, die ohnehin von Ausgabe zu Ausgabe variieren. So folgt auf den lichten "Lindenbaum" eine schwarze "Wasserflut" in c-Moll.

Von der kernig-markanten Tiefe seines Baritons bis zu fahlen Kopfstimmentönen, von zartem Piano bis zu heftigen Aufschreien reizt Kränzle die dynamische Palette genauso aus wie die emotionale: da gibt es winzige höhnische Lacher, verbitterte Stoßseufzer, leise Schluchzer, fiebernde Hektik, flammenden Schmerz und brüchige Scheinidyllen:

Statt einer Geschichte erleben wir ein Psychogramm aus traumartigen Einzelbildern; einen letzten Weg in 24 Stationen. Ob der monoton aufspielende Leiermann am Ende den physischen Tod bedeutet oder ein Verlöschen in völliger Apathie, ist nebensächlich. Auf jeden Fall ist unser Wanderer der Welt endgültig abhandengekommen – das lässt uns Johannes Martin Kränzle mit überwältigender Abgeklärtheit nachempfinden. In der fast unüberschaubaren Flut von "Winterreise"-Aufnahmen eine Sternstunde künstlerischer Ehrlichkeit…

Hörbeitrag zu dieser Rezension auf BR-Klassik

 

Münchner Merkur:
Eine großartige „Winterreise“ mit Johannes Martin Kränzle
Es ist nicht Trauer oder Frustration, auch nicht Weltekel oder Selbstmitleid. Da ist nur eine unsagbare Müdigkeit, die den Wanderer auf diesen Friedhof getrieben hat, vor eine mutmaßlich heruntergekommene, aber voll besetzte Herberge – ein Symbol. „Das Wirtshaus“ ist eines der gefährlichsten Lieder dieses Zyklus. Es verführt zu Pathos, Jammer-Zeitlupe oder Ähnlichem. Bei Johannes Martin Kränzle hören wir: Leere, Ausweglosigkeit, auch ein Schulterzucken. Dieses lyrische Ich kann nicht mehr, will aber nicht bedauert werden. Noch vieles mehr hören wir aus diesen paar Minuten heraus, auch aus den anderen Liedern. Und oft lässt sich nicht genau festmachen, definieren, was. Im Grunde das Beste, was sich über eine Interpretation sagen lässt. Sie wird unfassbar.

Jahrzehntelang hat sich Kränzle mit der „Winterreise“ von Franz Schubert auseinandergesetzt, sie häufig im Konzert vorgetragen. Im vergangenen Herbst ist er mit Pianist Hilko Dumno ins Studio gegangen und hat seine Erfahrungen auf CD geb(r)annt. Auf der Opernbühne ist Kränzle ein Gesamtkunstwerk, einer der intelligentesten Sängerdarsteller unserer Zeit. Mutmaßlich hätte er in Dieter Dorns Ensemble der Münchner Kammerspiele bestehen können, den schauspielerischen Instinkt hat er dafür. Tatsächlich gibt es in dieser „Winterreise“ Stellen, die Puristen zucken lassen. Kurze Lacher, ein klitzekleiner Schluchzer, auch raue, unebene Klänge, ausgerechnet im Schlager des „Lindenbaums“. Theatralisch könnte man das nennen. Ein Problem wäre das aber nur, wenn Kränzle nach Effekten schielte.

In den ersten Nummern der „Winterreise“ scheint Kränzle die Emotionalität fast zu überdehnen. Weit spreizt sich schon das Eröffnungslied zwischen Wut und einem wie verzweifelten Pianissimo. Kränzle gewinnt damit Fallhöhe – und wird doch nie plakativ. Worte, Satzteile werden zwar hervorgehoben, das Belehren gesteht dieser Bariton aber anderen zu. Die „gefrornen Tropfen“ aus dem gleichnamigen Lied lässt er mit seinem Klavierbegleiter fast filmisch abperlen, Singen wird zur stufenlos erweiterten Sprechstimme. Doch der (scheinbare) Naturalismus ist nur Mittel zum Zweck. Was sich hier an Farben und Nuancen eröffnet, könnte fast eine gedämpfte Version des „Erlkönigs“ sein.

Bewundernswert, wie Kränzle ohne Deklamieren alles aus dem Sprechrhythmus deutet. Man höre nur „Rückblick“: Das klingt nach freier, wie spontaner Erzählung und ist zugleich aus dem Abstand und der Draufsicht interpretiert. Identifikation und Reflexion werden eins. Kränzle und Dumno lassen sich von Schuberts Details bei alledem nicht verführen. Die Tempi sind zügig, zuweilen spürt man gar ungewohnte tänzerische Momente. Dumno spielt so plastisch, mit einer solchen feinen, klugen Clarté, dass man denkt: Diese Lieder könnten auch 100 Jahre jünger sein.

Der Wanderer dieser „Winterreise“ hat, so lakonisch er sich äußert, seinen Lebensweg längst begriffen. Das Aufbäumen ist nur vorübergehend. So emotional alles erfühlt ist, so groß ist doch die Gelassenheit. Aber ob der Wanderer am Ziel ist, wenn er dem Leiermann begegnet? Auch weil Kränzle davon im CD-Booklet schreibt, sollte man erwähnen, wann diese Aufnahme entstand: nachdem er zum zweiten Mal die Diagnose Akute Leukämie bekam. Nach einer ersten Stammzellentherapie vor einigen Jahren hatte sich Kränzle zurück ins Leben und in die Karriere gekämpft. Vor der zweiten Therapie nun die Aufnahme dieses Endzeit-Zyklus. Das muss man aushalten können und wollen. Wer mag, kann bei dieser „Winterreise“ daran denken. Und fühlt doch auch, so lakonisch Kränzle den „Leiermann“ enden lässt: Es geht weiter.

 

Pizzicato:
Johannes Martin Kränzle beschäftigt sich schon lange mit der Winterreise. Zu der Aufnahme sagt er: « Die Schubertsche Reihenfolge des Zyklus haben wir belassen, aber wir haben unsere eigene tonale Abfolge entworfen. Schon in den maßgeblichen Ausgaben stimmt das Tonartenverhältnis nicht mit dem Original überein, sondern ist von den Herausgebern frei gewählt worden. Wir haben bewusst Brüche in der Tonalität zugelassen, wenn es der Dramaturgie gerecht wird, also ein Stück etwa sehr hoch gesungen, um Erregung freizusetzen, oder ein anderes tief, um es verschattet ins Dunkel zu tauchen. » Dieses Vorgehen führt zu packenden Kontrasten in dieser Interpretation.

Kränzle lässt die einzelnen Lieder zu lebendigen, bewegten Bildern erstehen und sorgt gleichzeitig für einen inneren Zusammenhang und einen großartigen dramaturgischen Ablauf. Zu den Positiva zählt auch die untadelige Stimmführung des Sängers, der seine Stimme in den tieferen Lagen so gut und ausgeglichen kontrolliert wie in den höheren Bereichen. Die Textverständlichkeit ist optimal. Dumnos klare, konturierte, spannungsgeladene Begleitung ist ihrerseits auch sehr suggestiv. Wenn ich nun diese Aufnahme mit andren vergleiche, Stele ich erst, dass Kränzle nicht die Position des Erlebenden einnimmt, sondern die eines Erzählers, mit wie eingeflochtenen Kommentaren des Reisenden. Das ist eine interessante Annäherung an den Zyklus.

Die Rheinpfalz:
Johannes Martin Kränzle ist einer der großen Operndarsteller unserer Zeit. Dass er auch ein Liedspezialist ist, beweist er mit dieser Aufnahme von Schuberts „Winterreise“. Kränzle beginnt seine „Winterreise“ mit dem ersten Lied „Gute Nacht“ jedenfalls nicht in einem weinerlichen Ton. Auch von Selbstmitleid keine Spur. Da ist eher ein trotzig-selbstbewussterTon zu vernehmen, so nach demMotto: „Dann suche ichmir eben eine andere“. Aber da ist keine andere, sondern nur Eis und Schnee. Auch in „Erstarrung“ wirkt der verletzte Liebende vielmehr zornig, vielleicht auch enttäuscht. Aber eben doch auch voller Kraft und Mut. Dem Mut des Verzweifelten? Selbst in einem so abgrundtief trauriges Lied wie „Gefrorene Tränen“ bewahrt Kränzle die Distanz zum Text. Eine ironische, spöttische Distanz zum Liebesleid, von dem das Gedicht handelt. Man muss dann irgendwann an das Schicksal des Sängers denken. Wer innerhalb von zehn Jahren gleich zwei Mal lebensbedrohlich erkrankt war, der weiß, es gibt tatsächlich Wichtigeres als das unglückliche Verliebtsein eines jungen Menschen. So wird auch das letzte Lied „Der Leiermann“ nicht zu einem völligen Sich- Ergeben in das Schicksal, sondern zu einer Art Schlussstrich. Die Reise durch den Winter ist zu Ende – was auch immer das bedeuten mag.

Backstage Classical:
Die Aufnahme der Winterreise entstand unter dem Eindruck seiner erneuten Erkrankung. Der Pianist Hilko Dumno und Kränzle hatten den Zyklus über Jahre hinweg neu durchdrungen und neue Ideen entwickelt. Als die Leukämie diagnostiziert wurde, war klar: »Jetzt muss ich das noch realisieren, bevor es zu spät ist – notfalls auch als Vermächtnis«.

Axel Brügemann zeigt sich ergriffen von dieser so »gar nicht gefälligen« Aufnahme, die archaisch und bewusst an der Grenze gesungen sei. Kränzle erklärt, er habe eine »direkte Ansprache« und »Unmittelbarkeit« ohne falschen Romantizismus angestrebt.

Kleine Zeitung Graz:
Unsentimentale Reise Bariton Johannes Martin Kränzle, der sich im Alter von 62 Jahren dem Zyklus genähert hat, wählt einen Weg, der verstörend wirken kann. Seine „Winterreise“wirkt erst nicht wie eine Leidensgeschichte, sondern wie ein sachlicher, zügig vorgetragener Bericht. Auch wenn er sich einige Akzente (wie einen sarkastischen Lacher in „Gute Nacht“) erlaubt, ist seine Darstellung geradezu unpoetisch. Fast nüchtern klingt das Ende, wie ein: „Ja, so war das. Punkt.“Man muss sich darauf einlassen, um die Großartigkeit der subtilen Gestaltung und unsentimentalen Grundeinstellung zu erfassen. Der mit hellem Bariton und extremer Wortdeutlichkeit aufwartende Kränzle, übrigens ein begnadeter Singdarsteller der Opernbühne, verliert höchstens beim Anblick der „Wetterfahne“oder der „Nebensonnen“die Fassung und bleibt sonst ein Berichterstatter, der nicht übertreiben muss, um zu berühren.

American Record Guide:
Winterreise presents a grim account of an alienated man’s confrontation with grief and loss, his struggle with loneliness and disillusionment as he seeks to find his place in the world. This moving and effective reading by Johannes Martin Kränzle and Hilko Dumno joins an ever-growing roster of excellent interpretations. His vocal palette of various colors, his careful attention to the words, his elegant shaping ofphrases, and his uses of dynamics are all exemplary. This is a display of story-telling singing of a high order that really drew me in.Dumno has been his longtime recital partner and the two have developed a shared approach that brings illumination to their performance. Dumno is wonderfully engaged in this performance and in excellent accord with Kränzle. I noted only one small detail I have never heard from anyone else, and that is in the opening song `Gute Nacht’ as the wanderer recalls ruefully how “the girl spoke of love, her mother even of marriage”. Those words are sung twice. On the repeat I hear what sounds like an expression of scorn as if he can barely stand to utter the words.

Frankfurter Allgemeine Zeitung:
Dieser Wanderer hat schon viel gesehen. Sein Weg ist ein Seelendrama, in 24 Schattierungen, von tödlicher Verletzung bis zum Übermut. „Klagen ist für Toren“, ruft er. Der Bariton Johannes Martin Kränzle hat in seiner Karriere viel Schubert gesungen. So eindringlich wie hier hat man es selten im Ohr. Die „Winterreise“ hat er sich immer wieder vorgenommen, diesen Liedzyklus, den selbst Schuberts Freunde zu Lebzeiten zu gruselig fanden. Denn die dunkle Vieldeutigkeit liegt überall, auch da, wo die Lieder auf der Oberfläche noch hell scheinen. In Kränzles Interpretation ist alles zu finden, Aufbegehren, Depression, Zuversicht. Ein Glücksfall, begleitet von seinem seit Langem vertrauten Pianisten Hilko Dumno, entstanden in der Festeburgkirche in Frankfurt. Kränzle ist damit zurückgekommen. Mit der Veröffentlichung seiner neuen CD vor wenigen Wochen und dem grandiosen Musiktheater „Zaide“ bei den Salzburger Festspielen. Und im Rückblick meint man, die Dringlichkeit, den seine „Winterreise“ entwickelt, könnte von der Ausnahmesituation herrühren, in der sie, vor genau einem Jahr, entstanden ist.

Ritmo (Espana):
No recordamos que Johannes Martin Kränzle haya visitado Madrid o Barcelona como liederista, y, sin embargo, es uno de los grandes de la actualidad. El propio barítono cuenta en las notas su relación con este ciclo: desde la obligación de cantar Der Lindenbaum como estudiante, hasta su puesta escenificada en la ópera de Frankfurt, para retomarlo en 2024, tras casi una década sin volverlo a cantar, en la Schubertiada de Vilabertran, de la que este disco es su consecuencia.Este disco es un testimonio de toda una vida dedicada al canto con enorme éxito y de como este ciclo ha ocupado un lugar central en su vida. Es un prodigio como es capaz de ahondar en cada una de las canciones, y cómo ha sabido colorear cada una de las palabras. Se necesita haber madurado mucho, haber sufrido mucho y tener una enorme empatía para saber mirar de esta manera tan humana la trayectoria de ese caminante perdido en su último invierno. Todo ello es posible porque la técnica vocal de Kränzle es de tal calidad que responde inmediatamente a su intención expresiva, y, por supuesto que también, a un acompañante excepcional, compañero suyo de tantas tardes de Lied, como es Hilko Dumno. No se trata de comparar esta grabación con otras portentosas bien conocidas, encabezadas por algunas de Fischer-Dieskau, sino de afirmar que hay sitio en el panteón de cantantes que se han enfrentado a este ciclo con la entrada de Johannes Martin Kränzle. Tras la grabación, Kränzle fue diagnosticado con leucemia, pero, afortunadamente, ha podido volver a los escenarios

Wir können uns nicht erinnern, dass Johannes Martin Kränzle jemals als Liedinterpret in Madrid oder Barcelona war, und doch ist er einer der Großen der Gegenwart. Der Bariton selbst erzählt in den Anmerkungen von seiner Beziehung zu diesem Zyklus: von der Verpflichtung, "Der Lindenbaum" als Student zu singen, über die Aufführung am Frankfurter Opernhaus bis hin zur Wiederaufnahme im Jahr 2024, nach fast einem Jahrzehnt, in dem er ihn nicht mehr gesungen hat, bei der Schubertiada in Vilabertran, aus der die vorliegende CD hervorgegangen ist.Diese CD ist ein Zeugnis eines ganzen Lebens, das dem Gesang mit großem Erfolg gewidmet war, und davon, wie dieser Zyklus einen zentralen Platz in seinem Leben eingenommen hat. Es ist ein Wunder, wie er in der Lage ist, in jedes einzelne Lied einzutauchen und jedes einzelne Wort zu kolorieren. Man muss sehr gereift sein, viel gelitten haben und über ein enormes Einfühlungsvermögen verfügen, um den Weg dieses verlorenen Wanderers in seinem letzten Winter auf so menschliche Weise betrachten zu können. All dies ist möglich, weil Kränzles Gesangstechnik von solcher Qualität ist, dass sie sofort auf seine Ausdrucksabsicht reagiert, und natürlich auch dank eines außergewöhnlichen Begleiters, seines Partners bei so vielen Liednachmittagen, Hilko Dumno. Es geht nicht darum, diese Aufnahme mit anderen bekannten Meisterwerken zu vergleichen, allen voran denen von Fischer-Dieskau, sondern darum, zu bekräftigen, dass Johannes Martin Kränzle einen Platz im Pantheon der Sänger einnimmt, die sich diesem Zyklus gestellt haben.Nach der Aufnahme wurde bei Kränzle Leukämie diagnostiziert, aber glücklicherweise konnte er auf die Bühne zurückkehren.

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